Sixtine Lefebvre und Virginie Beaucousin:
Sehe ich den Wald oder den Baum? Wie unsere Persönlichkeit unsere Wahrnehmung beeinflusst – Hinweise aus dem Prozesskommunikationsmodell bei einer globalen/lokalen Suchaufgabe.
Warum sehen manche Menschen sofort das große Ganze, während andere sich lieber in Details verlieren? Ob wir zuerst den „Wald“ oder den „Baum“ wahrnehmen, hängt nicht nur vom Moment oder der Aufgabe ab, sondern offenbar auch von unserer Persönlichkeit. Eine Studie (2023) von Sixtine Lefebvre, Neuropsychologin und PCM-Trainerin, liefert spannende Einblicke dazu – mit dem Process Communication Model®.
An der Studie nahmen 77 Erwachsene teil. Die Teilnehmer:innen führten verschiedene Aufgaben durch: eine globale/lokale visuelle Aufgabe – dabei geht es um die Frage, ob wir schneller große Strukturen oder feine Details erkennen (ein klassischer Ansatz in der Wahrnehmungspsychologie). Außerdem eine Arbeitsgedächtnisaufgabe, einen Victoria Stroop Test und den Raven’s Progressive Matrices Test.
Zusätzlich füllten die Teilnehmenden einen PCM-Fragebogen aus, um ihr „Kommunikationshaus“ zu ermitteln, also ihre individuelle Persönlichkeitsarchitektur, in der der Basis-Typ den Ton angibt.
PCM unterscheidet sechs Persönlichkeitstypen: Logiker:in, Beharrer:in, Empathiker:in, Macher:in, Rebell:in und Träumer:in. In jedem Menschen sind alle Typen angelegt, aber der Basis-Typ bestimmt maßgeblich unsere bevorzugte Art der Wahrnehmung und Kommunikation.
Die zentrale Erkenntnis: Persönlichkeit prägt, was wir sehen
Die Studie zeigt: Unsere visuelle Wahrnehmung – ob wir zuerst globale oder lokale Informationen erfassen – ist nicht bei allen Menschen gleich, sondern hängt eng mit dem PCM-Basis-Typen zusammen.
Menschen mit der Basis Logiker, Beharrer, Empathiker oder Macher zeigten den klassischen globalen Vorrang: Sie erkannten das große Ganze schneller als die Details. Ihre Aufmerksamkeit funktionierte so, wie es auch viele frühere Studien beschreiben: zuerst „Wald“, dann „Bäume“.
Bei den anderen beiden Typen wurde es spannender:
- Basis-Träumer (ruhig, nachdenklich, fantasievoll) zeigten zwar einen generellen Vorteil für globale Informationen, ließen sich aber kaum von ablenkenden Details stören. Ihre Aufmerksamkeit schien stabil auf das Wesentliche ausgerichtet – unabhängig vom visuellen „Lärm“ drumherum.
- Basis-Rebellen (kreativ, spontan, verspielt) reagierten stark auf die Reizdichte, also auf die Anzahl der ablenkenden Elemente – unabhängig davon, ob es sich um globale oder lokale Reize handelte. Sie zeigten keine eindeutige Präferenz, sondern wirkten reizoffener, möglicherweise auch anfälliger für Überlastung.
Diese Ergebnisse zeigen: Persönlichkeit beeinflusst, wie wir sehen. Und sie bestätigen, dass PCM nicht nur erklärt, wie Menschen kommunizieren und „ticken“, sondern auch, wie sie Informationen verarbeiten. Das hat folgende Auswirkungen:
- In der Kommunikation: Wer eher globale Zusammenhänge sieht, spricht und hört anders als jemand, der auf Details achtet.
- Im Lernen: Unterschiedliche Aufmerksamkeitsmuster erfordern unterschiedliche Lernstrategien, was für Unterricht und Didaktik wichtig ist.
- Im Alltag und im Beruf: Visuelle Informationsflut kann Menschen unterschiedlich fordern – je nachdem, wie ihre Wahrnehmung funktioniert.
Das Process Communication Model® hilft seit den 70er Jahren, Kommunikation und Persönlichkeit besser zu verstehen. Diese Studie zeigt nun, dass PCM auch Erklärungen für kognitive Prozesse wie Wahrnehmung liefern kann. Das macht es besonders wertvoll für den Einsatz in Bildung, Coaching und Organisationsentwicklung.
Individuelle Unterschiede zu sehen ist wichtig, sowohl für das Verstehen kognitiver Prozesse als auch für die gezielte Unterstützung solcher Prozesse im (Lern-)Alltag.
Die vollständige Studie mit allen Details finden Sie hier: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0284596